ESM – Europäischer Stabilitätsmechanismus

Das Kürzel ESM steht für „Europäischer Stabilitätsmechanismus“, auf Englisch „European Stability Mechanism“. Umgangssprachlich greift auch der Begriff „Rettungsschirm“. Der ESM in der jetzigen Form besteht seit dem Jahr 2012. Rechtsgrundlage ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der von allen Mitgliedsstaaten in der Folge der Finanzkrise 2008 unterzeichnet wurde. Beim ESM handelt es sich nicht um eine Finanzierungsvariante aus Brüssel, sondern um eine Institution mit Sitz in Luxemburg. Es tauchen immer wieder die Fragen auf, „was macht der ESM“, „wie funktioniert das?“ Wir wollen diese Fragen beantworten.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Der ESM unterstützt Mitgliedsstaaten der EU, die in Zahlungsschwierigkeiten gekommen sind, durch Garantien und Kredite.
  • Die Unterstützung ist an Vorgaben hinsichtlich der Haushaltskonsolidierung des jeweiligen Landes geknüpft.
  • Bei dem ESM handelt es sich um eine rechtlich selbstständige Finanzorganisation, die juristisch nicht mit der Europäischen Union verknüpft ist.
  • Der ESM steht bei einigen Staaten in der Kritik, da die Konsolidierungsvorgaben aus Luxemburg die Souveränität der Einzelstaaten hinsichtlich der Haushaltsgestaltung einschränken.

 

Die einzelstaatliche Problematik

Nicht alle Staaten in Europa sind in Bezug auf ihre Volkswirtschaften gleichermaßen gut aufgestellt. So, wie es in einem Bundesland in Deutschland strukturstärkere und strukturschwächere Regionen gibt, gibt es in Deutschland strukturstärkere und schwächere Bundesländer. Dieses Muster zieht sich auch durch Europa.

Innerhalb Deutschlands unterstützen die stärkeren Bundesländer durch den Länderfinanzausgleich die schwächeren. Der Bund selbst kann nur durch Anleihen Kredite aufnehmen. Die Kreditaufnahme ist für einige Mitgliedsstaaten der Europäischen Union essenziell, um das Land „am Laufen zu halten“. Die Folge ist, wie die Beispiele Griechenland, Italien, Portugal und Spanien belegten, eine Überschuldung. Das Maastricht-Abkommen sieh zwar eine Maximalverschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes vor. Aber selbst der europäische „Musterschüler“ Deutschland lag im Jahr 2010 mit 81,5 Prozent deutlich darüber. Italien und Spanien bewegen sich weit jenseits der 130-Prozentmarke.

Die Folge ist eine Herabstufung der Bonität. Eine schwache Bonität wiederum bewirkt höhere Zinsen bei Anleihen. Hohe Zinsen belasten die Haushalte der betroffenen Staaten wiederum überdurchschnittlich. Um hier eine Lösung zu bieten, wurde der ESM geschaffen.

Aufgaben und Ziele des ESM

Aufgabe des ESM ist es, Mitgliedsstaaten der EU, die in wirtschaftlichen Notsituationen stecken, durch Kredite und Bürgschaften zu unterstützen und somit einen Staatsbankrott zu vermeiden. Diese Unterstützung ist jedoch an Vorgaben gebunden. Die betroffenen Länder müssen im Gegenzug Maßnahmen benennen und umsetzen, um die Verschuldungsquote nachhaltig zu senken. Deutschland gerät immer wieder in die Kritik, da es von den Staaten, die sich unter den Rettungsschirm begaben, massiv einforderte, welche Schritte zu unternehmen seien.

Einige Staaten, die den ESM nutzten, kritisierten allerdings die sehr rigorosen Vorgaben, die gerade von der Bundesrepublik Deutschland gefordert wurden. Zu den Vorgaben zählen in der Regel die Erhöhung bestimmter Steuersätze, eine Minimierung der Staatsausgaben und damit ein einhergehender Wegfall von Subventionen. Dies sind die bekannten Klassiker der Staatssanierung.

Rechtliche Konstellation des ESM

Der ESM zählt zu den internationalen Finanzorganisationen. Er ist uneingeschränkt rechtsfähig und geschäftsfähig. Auch wenn er der Unterstützung der Mitgliedsstaaten der EU dient, ist er von der Europäischen Union vollkommen unabhängig. Seine Zuständigkeit beschränkt sich nicht auf die Länder der Eurozone, sondern auch auf die anderen EU-Mitgliedsstaaten. Die Finanzierung des ESM basiert zum einen auf den Einlagen der Mitgliedsländer, zum anderen auf der Vergabe von Anleihen. Das anfängliche Stammkapital betrug 700 Milliarden Euro. Deutschland trägt mit über 26 Milliarden Euro vor Frankreich und Italien den größten Anteil. Gezeichnet waren 190,02 Milliarden Euro, konkret einbezahlt 21,72 Milliarden Euro.

Kritik am ESM

Für die Umsetzung des ESM waren nationalstaatliche Gesetze notwendig, welche den völkerrechtlichen Vertrag anerkannten. In Deutschland gab es mehrere Verfassungsklagen, da befürchtet wurde, dass die Haftung der einzelnen Mitgliedsländer im Falle eines Staatsbankrotts eines anderen Landes unbegrenzt sei. Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Klagen ab.

Ein weiterer Kritikpunkt war, dass der ESM für die einzelnen Mitgliedsländer keine Austrittsklausel vorsieht. Der ESM ist auf „Lebenszeit“ angelegt. Darüber hinaus klagen Kritiker, dass mit der Inanspruchnahme des ESM durch die Sanierungsvorgaben die nationale Souveränität über den Staatshaushalt abgegeben wird.

Ebenfalls auf wenig Gegenliebe trifft der Punkt der vollständigen Einzahlung des Haftungskapitals. So genügt eine einfache Mehrheit im Direktorium des ESM, um beispielsweise Deutschland dazu aufzufordern, die Differenz zwischen Zeichnungskapital und tatsächlich einbezahltem Kapital aus dem Stand einzuzahlen.

Im April 2020 kam es zu einem Eklat, als Italien das Thema Eurobonds wieder aufleben ließ. Dem Land wurden 200 Milliarden Euro aus dem ESM zugesagt, Ministerpräsident Conte lehnte dies jedoch ab und beharrte auf der Umsetzung von Eurobonds.

Portugal wählte einen eigenen Weg

Die Portugiesen scherten im Jahr 2014 aus dem Rettungsschirm aus, da sie einen anderen Weg wählten. Das portugiesische Programm wurde geschlossen. Der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) prognostizierte im Jahr 2015, Portugal käme spätestens 2016 wieder als Bittsteller. Das Gegenteil war der Fall. Portugal senkte die Umsatzsteuer für die Gastronomie und die Einkommenssteuer. Im Gegenzug wurden die großen Vermögen höher besteuert. Für ausländische Unternehmen wurden Anreize geschaffen, ausländische Rentner, die ihren Wohnsitz bis 2019 nach Portugal verlegten, wurde für zehn Jahre die Einkommensteuer erlassen. Dies brachte Geld ins Land und kurbelte die Wirtschaft, gerade im Tourismus, wieder an. Portugal sanierte sich auf diese Weise.

Alternativen zum ESM

Es ist nachvollziehbar, dass sich die Finanzminister auf nationalstaatlicher Ebene nur ungern vorschreiben lassen wollen, wie sie ihren Haushalt zu führen haben. Gerade Italien reagiert in diesem Zusammenhang recht sensibel.

Seit einigen Jahren kursiert der Begriff „Eurobonds“ als Alternative zum ESM. Die einfachste Variante der Eurobonds sieht vor, dass es keine einzelstaatlichen Anleihen mehr gibt. Ein Land, das sich finanzieren muss, begibt eine Anleihe, der Emittent wäre allerdings die EU, kein Nationalstaat mehr. Der Vorteil dieser Option läge ganz klar bei den Staaten mit schwächerer Bonität. Bei einer EU-Anleihe würden sie von der besseren Bonität der stärkeren Staaten profitieren. Gerade Italien, Spanien und Frankreich können sich eine solche Lösung vorstellen.

Die Gegner der Eurobonds lehnen diese aber aus Gründen der gesamtschuldnerischen Haftung ab. Das anleihe-aufnehmende Land wäre nicht mehr in der Pflicht, seinen Haushalt zu sanieren, um die Anleihe zurückzuzahlen. Der mögliche Staatsbankrott würde durch die mithaftenden Mitgliedsstaaten der EU aufgefangen.

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